Elyses

Es war ein schöner Tag, entschied Jessica. Das Holz der ihres Ladens knarzte gemütlich im seichten Wind und das gedämmte Sonnenlicht, welches durch die Fenster fiel, verpasste der Atmosphäre einen angenehmen Touch. Jess saß stolz hinter dem Tresen ihres kleinen Antiquitäten-Ladens, schließlich hatte sie auch allen Grund dazu. Die beachtenswerte Ansammlung an Artefakten, Antiquitäten und anderen kleinen Schätzen locken viele Interessierte in das kleine Örtchen Elyses, nur ist der Andrang so groß, dass sie bald wohl wieder los muss, um weitere Waren zu besorgen.

Zufrieden gähnend richtete sie ihren Mantel und ihr Barret zurecht und begann mit einer Lupe ihre neuste Ware zu inspizieren, während sie parallel einige Recherchen betreibt, wo sich denn interessante Güter in Sinnoh aufhalten. Der Tag könnte nicht besser laufen.  

Jessicas Augenlider gaben langsam der Gravitation nach, denn Recherche ist verdammt langweilig. Vor allem, wenn sie nichts fand. “Wollt ihr mich auf den Arm nehmen, irgendwo muss es doch was geben…” murmelte die 21 jährige mit zusammengezogenen Brauen, als sie nur noch Millimeter vor dem grellen Bildschirm saß. Frustriert schmiss sie die Arme nach oben und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. So wird das nichts, sie müsste sich schon selbst auf die Socken machen und Informationen in anderen Städten abgreifen. Niedergeschlagen driftete sie in ein Mittagsschläfchen ab.

Das Geräusch von knarzenden Holz holte Jess aus ihrem wohlverdienten Päusschen. Nachdem die fast vom Stuhl gefallen ist, blickte sie sich kurz verwirrt um und wischte sich mit ihrem Ärmel etwas Speichel vom Mund. In ihrem Laden stand ein freundlich aussehender, junger Mann. “Hallo, wie kann ich . . .” setzte sie ihren Standartspruch an, um die Situation nicht noch peinlicher zu gestalten. Nach genauerer Begutachtung stellte sie aber A) fest, dass es sich hier um einen Gijinka handelt und B) ,dass Jess diesen möglichen Kunden von irgendwoher kannte. Wohlmöglich weil er mal in Elyses gelebt hat? Sie war sich nicht sicher und es wäre auch bestimmt nicht höflich so promt nachzufragen. Trotz seiner recht ominösen Gestalt schien der Fremde mit seinem Lächeln doch sehr wohlwollend. “. . . Ihnen helfen?” beendete sie kurz. “Suchen Sie etwas bestimmtes?”

“Oh nein, nein kein Grund sich zu entschuldigen! beschwichtigte Jess eilig mit überraschtem Ausdruck. Wie unhöflich von ihr. Die Aussage des Kunden, dass er ein Geschenk für seine Familie suchte war auf jeden Fall ein Anhaltspunkt, um dem Besucher ein passendes Objekt anzubieten. Und der kleine Nebenpunkt, dass er bereit ist mehr zu zahlen traf auch nicht auf taube Ohren.

Mit einem eleganten Lächeln schreitete sie an der Person vorbei und griff mit vertrauter Präzise in ein hölzernes Regal am anderen Ende des Gebäudes. Ihre blassen Finger hielten eine quadratische Schachtel in der Hand, die mit Staub bedeckt war. Sie wanderte erhobenen Hauptes zurück zu ihrem Kunden und hielt ihm die Box vor die Nase. “Das hier ist eines meiner wertvollsten Stücke.” erklärte sie stolz und öffnete die Schachtel. Innen lag eine kunstvolle und antike Spieluhr auf einem dunkelroten Kissen, um sie vor jeglichem Schaden zu bewahren. Sie war geformt wie eine Schatulle, mit unzähligen Gravuren und Verzierungen, ein wahrlich schöner Anblick. “Diese Spieluhr ist von einem der berühmtesten Künstler in Johto, er ist bekannt für seine ausgefeilte Handwerkskunst und Gemälde, die er auf solchen Objekten verewigt.” erklärte sie fachmännisch und weist dabei auf die Malerei, welches sich auf dem Holz befand. “Sie ist schon sehr alt und ein Unikat, weshalb wir uns damit schon in einer höheren Preisklasse befinden.” sagte sie ernst. “Sind Sie interessiert?”

“Jup, ein kleines Vermögen!” sagte Jess stolz wie eine Mutter. Es war kein leichtes gewesen, dieses Unikat in ihren Besitz zu kriegen: da war viel Überredenskunst und ein Händchen für’s Geschäft im Spiel. Als sie Innerlich schon dachte, dass der Kunde von der Spieluhr überzeugt sein würde, betrat eine Kundin ihren Laden. Wohl ein geschäftiger Tag, heute meinte sie in Gedanken und lächelte den Neuzugang an. Der junge Mann bot glücklicherweise an, zu warten und sich noch weiter umzuschauen, sodass Jess etwas Zeit für die neue Kundin hatte. “Das ist sehr freundlich von Ihnen, wenn sie etwas brauchen, ich bin hier.” bedankte sich die Gijinka mit geübter Professionalität. Jess rückte kurz ihr Barret zurecht und wandte sich der jungen Frau zu, welche anscheinend ein Hochzeitsgeschenk für ihre beste Freundin suchte.

Wow, die Frau hat ja Ansprüche… dachte Jess in Gedanken und lächelte hilflos, während die Kundin über die absolut fantastische Hochzeit redete und wie wahnsinnig das Geschenk sein muss. Es sollte glitzern und praktisch sein und alle anderen Geschenke übertreffen und, und, und. Aber Jessica wäre nicht Jessica, wenn sie nichts Passendes für ihre Kunden finden würde. Sie nickte aufmerksam, während die Altaria-Gijinka überlegt in ein etwas höher gelegenes Regal griff und eine doch etwas größere, durchsichtige Box, welches ein altes Teeset enthält, hervorzieht. Aus dem Augenwinkel sieht sie nebenbei wie sich ihr andere Kunde immernoch die Waren anschaut und sie mit der Spieluhr abgleicht. Sie kann es ihm ja auch nicht übel nehmen, jedes einzelne Exemplar ist interessant auf seine Art und Weise. Jessica zeigt der energetischen Kundin das vergoldete Teeset, welche dieses mit Freuden in die Arme und schlung und auch keine Sekunde später bereits gekauft hatte.

Nun hatte Jess wenigstens wieder Zeit für den jungen Mann, der … weg ist? Etwas verwirrt blickte sie sich um. Hatte der Gijinka sich gegen die Spieluhr entschieden und ist gegangen? Etwas enttäuscht ging sie die Regale ab, um für Ordnung zu sorgen. Viele Kunden hatten die Angewohnheit die Vielfalt an Schachteln und Kisten durcheinander zubringen, während sie sich nach etwas umschauen. Jedoch musste sie betroffen feststellen, dass die Spieluhr nirgends zu finden war. Sie schaute doppelt und dreifach, aber nirgendwo konnte sie das teure Unikat finden. Bis es ihr dämmert.

Jessica sprang energetisch aus der Hocke, riss die Holztür auf und sah doch tatsächlich wie ihr ehemaliger Kunde das Weite suchte. “Als ob.” murmelte sie mit düsterer Miene, krempelte die Ärmel ihres Mantels hoch und sprintete dem Mann in rasanter Geschwindigkeit hinterher. “Wenn ich dich erwische wirst du was erleben!” rief sie lauthals hinterher.

“Oh nein, du wirst mich ganz sicher nicht los.” murmelte Jess unter angestrengtem Atem. Mann, sie ist lange nicht mehr so gerannt, sie hatte schließlich auch keinen Grund dazu, aber sie hegt solch einen Hass gegenüber Dieben und anderen Bösewichten, dass sie hier unter keinen Umständen locker macht. Und ganz sicher nicht wenn er mit ihrer extrem wertvollen Spieluhr unterm Arm wegläuft! Sie beobachtete wie der Mann eine Attacke zu seinem Vorteil hinlegt, aber wenn er denkt, dass würde sie abhalten ihm zu folgen, dann hat er sich gewaltig geschnitten. Mit zusammengekniffenen Brauen legte sie noch einen Zahn zu. Glücklicherweise hatte sie ihre blauen Lederstiefel an, in denen das Rennen nicht so anstrengend ist. Mit ihren Hausschuhen, die sie normalerweise im Laden trägt, sähe das schon anders aus.

“Gib mir meine gottverdammte Uhr wieder!”

–> Route 211