Herzhofen

<—  Route 208

Jessica kam galant die Stadt hereinspaziert, zwar nicht ohne einen Hauch von Eile, aber doch geschmackvoll. Wenn sie an dieser Auktion teilnehmen wollte, konnte sie nicht jetzt schon einen unprofessionellen Eindruck hinlegen. Bleibt nur die Frage offen, wo sich besagte Auktion befindet sollte. Da sie auch ihren ehemaligen Verfolger, dessen Name sie nicht kannte und auch nicht kennen wollte, nicht mehr sah, wurde sie leicht unruhig. Sie sah sich hektisch um, ihre langen blauen Strähnen im Rhythmus schwingend, und konnte tatsächlich nichts erkennen, was auch nur annähernd auf eine Auktion hinweisen könnte. Frustriert reichte sie in ihre Jackentasche und entblößte ihr Smartphone, dass schon mit Nachrichten ihrer Händerkollegen überschwemmte. Die meisten haben schon Wind von der Auktion bekommen, waren aber zu weit weg, um sich selbst beteiligen zu können.

Tatsächlich hatten einige auch schon Anhaltspunkte, wo sich das Auktionshaus befinden könnte und Fakt war, es war unterirdisch. Nur könnte das überall sein. Jessica lief einige unsichere Meter, bevor sie schon die Hoffnung aufgab und sich auf den Rückweg machte. Zu ihrem Glück hat doch tatsächlich ein, ihr unbekannter, Händler den exakten Standort des Gebäudes ausmachen können. Dass diese ominöse Person die genauen Koordinaten wusste, kümmerte sie im Augenblick herzlich wenig. Darüber konnte sie sich später Gedanken machen. Jetzt musste sie aber die Vase in ihren Besitz bringen.

Zielstrebig wanderte sie zum besagten Haus und lief ohne zu zögern die Treppe hinunter, wo sie die Person sah, die Jess als letztes sehen wollte. “Na toll, wer hat dich denn reingelassen?” sagte sie in einem leise, doch verärgerten Ton, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Sie schnaubte entnervt nach dem Kommentar von dem Weißhaarigen und stapfte geradeaus davon. Als sie doch dann dezent in der drängelnden Menge der maskierten Teilnehmer unterging, hielt sie kurz inne. Normalerweise sind ihre Entscheidungen wohlüberlegt, aber die Auseinandersetzung und der Gedanke, dass der fremde Typ die Vase vor ihrer Nase stehlen könnte, ließen sie etwas energisch handeln. Statt aber mit eingezogenen Schwanz zwischen den, doch großen, Menschen stehen zu bleiben, schaute sie sich um, reichte den Arm aus und plötzlich hatte sie eine Maske in der Hand. Wo die wohl hergekommen ist. Schulterzuckend setzte sie die mit Federn bestückte Maske auf, welche ihre obere Gesichtshälfte verdeckte, um sich anzupassen. Es war nichts Seltenes, dass Teilnehmer einer Auktion, vor allem reiche Teilnehmer, ihre Identität nicht gerne preis geben. Nur das dunkle Licht und die ominöse Atmosphäre machten Jessica etwas zu schaffen.

Sie drängelte sich mit einem Grinsen nach vorne und konnte schon fast die Vase riechen, die möglicherweise noch hinter der Bühne versteckt war. Zu ihrer Überraschung wurde gerade auf ein sehr seltenes Gemälde geboten, dass eigentlich irgendwo in einem Museum hängen müsste, wenn sie sich nicht irrte. Und noch überraschender sind die wahnsinnig hohen Gebote, die durch den Saal gerufen wurden.

Jessicas Augen glänzten staunend, so viele bekannte und seltene Kunststücke an einem Ort! Doch so sehr sie das alles mit ganzem Herzen bewunderte, war sie doch eher wegen der Vase hier. Es verging noch einige Zeit bevor der Auktionator plötzlich mit großspurigen Gesten und bebender Stimme durch den Saal lallt. “Das Objekt auf das Sie, Ladies und Gentleman, alle gewartet haben!” kündigte er an, als eine beachtliche Vase behutsam auf die Bühne transportiert wurde. Die Teilnehmer der Auktion schnappten alle nach Luft und viele verschafften sich mit ihrem vornehmen Opernglas einen besseren Blick auf das Prachtexemplar. Keine Sekunde später als der Startschuss für die Gebote gefallen sind, wurden Unsummen an Geld in die Menge gerufen. Jessica stand bewegungslos zwischen diesen viel zu reichen Schnöseln, als immer wieder Gebote fielen, die ihre Vorstellungskraft überschritten. Bei diesen Summen werde ich nie die Vase bekommen! dachte sie verbittert und trat etwas aus der Ansammlung an Menschen zurück in den Hintergrund. Aber ich kann nicht ohne die Vase die Stadt verlassen… grübelte sie, während sie mit gerunzelter Stirn den etwas leereren Platz ablief.

Jessica lief immernoch grübelnd am anderen Ende des Raumes Kreise und Ellipsen, tief in Gedanken steckend. Wenn es doch nur irgendeine Möglichkeit gäbe an diese verflixte Vase zu kommen, ohne eine Straftat zu begehen! dachte sie verzweifelt und warf ihren Kopf in den Nacken nur um entkräftet aufzustöhnen. Dabei bemerkte sie ganz nebenbei, dass sie den Weißhaarigen nicht mehr im Blick hatte und das besorgte sie dezent. Noch mehr besorgte sie jedoch, wie eine beachtliche Zahl der Besucher das Weite suchten oder sich versteckten. Jessica lief schnell zu einem der Teilnehmer um ihn zu fragen was los sei, als sie ebenfalls von dieser unheilvollen Stimmung eingenommen wurde. Die Gijinka biss aber die Zähne zusammen und hingegen ihrem Instinkt lief sie weiter in die Menge, bis sie sah wie der Auktionator auf der Bühne schwankte und torkelte. Jess joggte dem Mann entgegen, der schwer stürzen könnte und machte dabei den Dieb aus, der mit hoher Wahrscheinlichkeit für das ganze Chaos verantwortlich ist. “Ich wette das ist dein Werk!” rief sie, bevor sie verärgert mit ihrem Feuerodem auf den Weißschopf losging, um ihn irgendwie von seinen Taten abzuhalten.

Jessica gab ein kurzes, frustriertes Geräusch von sich, als der Fremde einfach einen Schritt zur Seite tat und ihr keine weitere Beachtung schenkte oder Reaktion zeigte. Den ‘gut gemeinten Rat’, von dem verdächtigen Typen, ignorierte sie ihrerseits jedoch gekonnt. “Als ob ich mich aus dem Staub mache.” murmelte sie etwas in sich hinein und wollte schon zur nächsten Attacke ansetzen, als der Weißhaarige, wie vermutet, sich die Vase schnappte und abhaute. Keine Sekunde sprintete sie dem Dieb hinter. Sie lässt ihn sicherlich kein zweites Mal mit einer Straftat davon kommen lassen! Wäre da nicht das Problem, dass sie sich von Sekunde zu Sekunde schwächer fühlt, bis sie kaum ihre Augen aufhalten konnte. Sie wollte noch ein sehr anstößiges und demnach auch in Zensur verschwundenes Wort hinterher rufen, aber die Dunkelheit die sie übermannte war dann doch schneller.

<--- PokeCenter

Jessica machte sich nicht die Mühe sich umzudrehen und nach zuschauen, ob ihre unfreiwillige Begleitung ihr folgt. Stattdessen lief sie zielsicher auf den Ausgang der Stadt zu, um so schnell wie möglich zum Turm der Ruhenden zu gehen. Was tatsächlich etwas schade ist, da Herzhofen eine so riesige Stadt im Herzen Sinnohs ist, was dazu führt dass ihre Augen an jedem zweiten Modegeschäft hängen blieben. Die Gijinka ist nicht oft in Herzhofen und normalerweise ist sie auch nur auf Geschäftsreise unterwegs, sodass nicht viel Zeit für shoppen übrig bleibt. Leicht enttäuscht lief sie die Pflastersteinstraße weiter und zwang sich die Augen auf die Route zu richten. Bis sie versehentlich einen Blick nach oben wagt und ein sehr elegantes Modegeschäft ihre Aufmerksamkeit komplett einnimmt. Sie nahm einen scharfen Luftzug und lief ohne weiter nachzudenken an das Schaufenster, um einen Blick hinein zu erhaschen. “…Den Laden hab ich noch nie gesehen!” murmelte sie leise, aber begeistert und presste ihre Nase gegen das beschlagene Glas.

Keine Sekunde später war sie drinne.

Jessica’s Augen glitzerten vor Aufregung. Es ist schon so lange her, dass sie in so einem hübschen Geschäft war! Sie konnte ganz und gar den Stress und die Probleme vergessen, die sie noch vor einigen Minuten hatte. Mit der Hand gleitete sie durch die Stoffe der Waren, von Seide über Baumwolle war hier alles, was das Herz begehrt. Eigentlich ist es schon an Jess’ Aufmachung zu erkennen, dass sie ein Händchen für Mode hat, leider hatte die nur nicht so viel Zeit einkaufen zu gehen. Und es ist eine gute Möglichkeit Euclase noch einige Nervenzellen zu rauben.

Sie nahm gerade ein cremefarbenes Barret in die Hand und verglich es mit ihrem, welches schon etwas in die Jahre gekommen ist. Vom Aussehen nehmen sich beide nicht viel, aber ihr geübtes Auge für Mode sieht die Unterschiede. Jessica wollte gerade die Kasse aufsuchen, als sie eine ruhige Stimme hinter sich vernahm und spontan davon ausging, dass es einer der Mitarbeiter ist, der sie beraten wollte. Stattdessen sah sie die vertraute Visage ihrer Begleitperson, die nicht genervt verzehrt war, wie sie eigentlich vermutete. Jessica musste zugeben, sie war etwas verwirrt und wusste nicht direkt was sie sagen sollte, die Gijinka drückte lediglich das Barret gegen die Brust. Bevor sie sich auf die Freundlichkeit von Euclase einließ, klickten dann doch ein paar Zahnräder in ihrem Kopf zusammen. Das ist doch alles nur eine Masche… dachte sie skeptisch. Mit einem verschmitzten Lächeln und spöttischen Funke im Auge, hielt sie das Barret vor seine Nase und begann ihm gespielt lautstark mitzuteilen: “Oh nein, ich habe wohl meinen Geldbeutel vergessen!” und fasste sich erschrocken mit mit der Hand an die Wange für den extra dramatischen Effekt. “Ein Gentleman wird einer Lady wohl aus der Klemme helfen oder?” dabei schaute sie sich um und verkündete “Wobei ich natürlich auch noch ein paar Stündchen hier verweilen könnte, der Laden ist soooo groß!” Jessica plapperte wild drauf los und zog dabei die Aufmerksamkeit der Kundschaft auf das unübliche Paar.

Gerötet knirschte Jessica mit den Zähnen, als der Weißschopf vorgab sie nicht zu kennen. Sie verzog kurz das Gesicht nur um dann wieder eine selbstsichere Miene aufzusetzen. Heh, das kann ich auch dachte die Gijinka und schlüpfte wieder in ihre Rolle als selbstherrliche Diva. Sie rümpfte die Nase und sagte “Dann folgen Sie mir gefälligst nicht, Sie machen mir Angst!” Dabei trat sie einen Schritt zurück und schaute hilfesuchend in die Menge. “Hey das wäre eigentlich eine super Gelegenheit sich aus dem Staub zu machen…” murmelte sie leise in den blauen Stoff ihres Mantels und stellte sicher, dass sie außer Reichweite des Gijinkas war. Wer würde schon einer so reizenden Dame wir ihr, die Hilfe verweigern? Wobei sie sich den letzten Part dann doch wieder verwarf. Der Typ konnte und würde sie finden, wie er bereits angedroht hatte. Aber bevor sie zum Turm der Ruhenden weiterreiste, wollte sie dem Typen noch eine auswischen. Schließlich war sie noch nicht über ihre Spieluhr hinweg und Jess konnte ziemlich nachtragend sein.

Jessica schnalzte entnervt mit der Zunge. Dieses freundliche Getue ging ihr sehr auf die Nerven, vor allem wenn sie daran dachte, wie derselbe Typ sie noch am selben Tag behandelte. Als sie bemerkte, dass sie mit diesem begriffsstutzigen Weißschopf nichts weiter anfangen konnte, ignorierte sie seine Frage und lief gekonnt zur Kasse, um ihrem doch vorhandenen Portmonnaie das Barret zu erwerben. Nach einer nicht allzu höflichen Abfolge aus Hallo, Danke und Auf Wiedersehen, drehte sich Jessica um und wanderte zurück zu Euclase, zu dem sie seufzend “Wir gehen.” murmelte und somit das Geschäft verließ. Der miese Typ von vor einer Stunde war ihr dann doch lieber, als diese gespielte Fassade aus Freundlichkeit. Sie nahm ihr weißes Barret ab, steckte es in ihre Tasche und setzte dafür ihr neu erworbenes Kleidungsstück auf, dass sie etwas glücklicher mit dem gesperrten Handydisplay begutachtete. Zufrieden nickend richtete sie es noch ein wenig zurecht, bevor sie sich zu ihrer Begleitung umdrehte. Ihr Gesicht viel und ihr leichtes Schmunzeln wurde zu einer geraden Linie. “Gut, ich denke wir können weiter.” meinte sie, in stiller Hoffnung Euclase auf den Sack gegangen zu sein.

Die Gijinka war nur eine Haarbreite davon entfernt ihren Kopf gegen die nächste Hausmauer zu schlagen. Sie schaute den Weißhaarigen verwirrt und verständnislos und musterte seine komplett hilflose Visage. “Du- ich- wir- ” sie stammelte etwas verwundert, will der Typ sie nur wieder bloßstellen oder hatte er Amnesie? Oder was ganz anderes? “Wir waren grade auf dem Weg zum Turm der Ruhenden.” erklärte sie langsam und bedächtig, darauf achtend jedes Wort einzeln zu betonen. Zur Sicherheit unterstützte sie ihre Erklärung mit wilder Gestik. “Hey, wenn du einen Hitzschlag oder so hast, hätten wir die auch einen Hut kaufen können.” meinte Jessica und deutete mit dem Daumen auf das Geschäft, in dem sie gerade drin war. Sie hatte nun wirklich keine Lust diesen hilflosen Idioten alles von vorne zu erklären, wobei sie nicht einmal sicher war, was grade los ist.